Der 25. November ist einer der vielen einer Gruppe oder einem Anliegen gewidmeten Tage, die in den letzten Jahrzehnten von Organisationen wie der UNO ausgerufen worden sind. „Gedenk- und Aktionstage“ gibt es mittlerweile wie Sand am Meer, ironische Kommentare zu dieser Gedenktagsinflation ebenfalls. Dieser ist allerdings schon etwas Besonderes, denn er betrifft mehr oder minder die Hälfte der Menschheit (von der nach neuesten Angaben 49,7 Prozent weiblich sind) und daran, dass Frauen aufgrund physischer und in vielen Ländern auch ökonomischer Unterlegenheit besonders gewaltbetroffen sind, besteht kein Zweifel.
Die offizielle Bezeichnung dieses Tages ist etwas umständlicher, sie lautet: Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen (International Day for the Elimination of Violence against Women). Zur Symbolfarbe wurde Orange erkoren. Interessant ist ein Blick auf seine Geschichte: Es gibt ihn schon seit 1981, wo er von lateinamerikanischen Feministinnen ausgerufen wurde, um auf das Schicksal zweier in der Dominikanischen Republik ermordeten Politaktivistinnen einer kommunistischen Plattform hinzuweisen. Über diesen individuellen Anlass ist er jedoch längst hinausgediehen: 1999 machte sich die Vereinten Nationen das Anliegen zu eigen und bat per Resolution die „Regierungen … an diesem Tag Aktivitäten zu organisieren, die darauf abzielen, die Öffentlichkeit stärker für das Problem der Gewalt gegen Frauen zu sensibilisieren.“
Gutes Anliegen, schwammige Umsetzung
Das klingt gut, aber eben auch nur das. Schaut man sich, erstens, die besagte Resolution näher an, so kann man die Augen nicht davor verschließen, dass sie sich in wolkigen Absichtserklärungen erschöpft. Unterschiedlichste Weltregionen und Probleme werden in einen Topf geworfen, das Gremium äußert seine Besorgnis und schließt mit der oben zitierten Aufforderung, die Öffentlichkeit zu „sensibilisieren“. Aber was heißt das konkret? Gedenktage, die so allgemein ausgelegt sind, dass sie weltumspannende Probleme adressieren, erzielen kaum eine nachhaltige Wirkung. Zu unterschiedlich sind national und regional die jeweiligen Lebenslagen. In westlichen Ländern mit funktionierender Rechtsstaatlichkeit braucht es keine Aktionstage zur Unterbindung von Gewalt, weil diese dort ohne Ansehen der Gruppenzugehörigkeit ohnehin konsequent geahndet wird. Danken wir jeden Tag unserer Rechtskultur und freuen uns, in Europa zu leben! Und in den Ländern, in denen Gewalt gegen Frauen zum traurigen Alltag gehört, sind die hehren Forderungen entweder leeres Wortgeklingel oder können gar nicht erst stattfinden. Es würde mich interessieren, wie wohl der „Orange Day“ bei den Taliban, in Saudi-Arabien und in Pakistan begangen wird…
Ein zweiter Kritikpunkt ist ebenfalls zu bedenken: Jeder zivilisierte Mensch wird Gewalt (und nicht nur gegen Frauen) ablehnen. Das schließt aber nicht automatisch eine Zustimmung zu feministischen Geschlechterbildern ein, die der Mehrzahl aller Menschen und Kulturen fremd sind und vielerorts als kolonialistische Einmischung empfunden werden dürften. „Orange the World!“ ist auch eine Aufforderung zu Durchsetzung rein westlicher Vorstellungen. Hier fungieren UN-Resolutionen als eine Art trojanisches Pferd. So ist in der zitierten Entschließung keineswegs nur von der erstrebenswerten Verhinderung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen die Rede, sondern von „Gleichstellung“ – wie hier schon thematisiert im Gegensatz zu „Gleichberechtigung“ ein Schlüsselbegriff für die Einmischung in bestehende Familienstrukturen und die Bevorzugung von Frauen gegenüber Männern. Dass das in Entwicklungsländern die Akzeptanz für eine Verbesserung der Lage von Frauen eher senkt als verbessert, liegt wohl auf der Hand.
„Global – dysfunktional“
Mir drängt sich dabei das Wortpaar „global – dysfunktional“ auf. Die einzige echte Alternative zu dieser Kulissenpolitik ist die konsequente politische Arbeit vor Ort. Diese sollte sich ohne ideologische Akzente auf reale Probleme konzentrieren. So ist beispielsweise das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ sicher eine gute Sache. Der Slogan „Wir brechen das Schweigen“ dagegen ist schon wieder Ideologie: Denn über kaum etwas wird in unserer Gesellschaft so ausgiebig gesprochen wie über Frauen, ihre Rechte, und ihre (in weiten Bereichen mittlerweile vermeintliche) Benachteiligung. Es gibt längst kein Schweigen mehr (was gut ist), sondern eine Dauerthematisierung. Diese darf nicht dazu führen, die Belange anderer Gruppen, z.B. Kinder oder Alter, aus dem Blick zu verlieren.